Seit Langem sehe ich meine Kollegin ohne Mund-Nasen-Schutz. Ihr Gesicht kommt mir seltsam unbekannt vor. Es ist, als wäre zum momentan gewohnten Anblick ihrer Augen, noch etwas hinzugekommen, was erst wieder in Einklang gebracht werden muss. Auch beschleicht mich das Gefühl, dass etwas Unerhörtes vor sich geht, etwas, was im ersten Moment nicht klar erkennen lässt, wer zuerst der Scham nachgeben sollte. Ich, indem ich wegsehe oder sie, indem sie ihr Gesicht bedeckt. Plötzlich fühle ich mich an Schwimmbadbesuche in meiner Kindheit erinnert. In den Frauenduschen spielten sich ungewöhnliche Szenen ab. Fremde, nackte Frauen unterschiedlicher Gestalt bewegten und reinigten sich im Dunst des warmen Wassers. Die für mich, erschütternde Selbstverständlichkeit fremder Nacktheit, vermischte sich mit dem eigenen, entblößten Duscherleben zu einem nebligen Gefühl vertrauter Unvertrautheit.
03.02.2021
~ Leipzina
Veröffentlicht von Leipzina
Etwas von mir zu erzählen, das fiel mir noch nie schwer, hier die richtigen Worte zu finden - das ist dennoch eine kleine Herausforderung. Vielleicht zunächst das Wichtigste für diese Seite: Ich schreibe gern. Für mich ist das Schreiben wie die „Erschaffung“ eines kleines Ausschnitts, ja eines Fensters, in meine Wahrnehmung und mein Erleben. Dabei macht es mir große Freude auf die Suche nach den richtigen Worten zu gehen. Das Beschreiben mag ich sehr. Auch und besonders weil es die Phantasie so wunderbar antreiben, bereichern, damit auf besondere Weise berühren und etwas in Bewegung bringen kann. Alle Beiträge von Leipzina anzeigen