Über meinem Balkon befindet sich ein Hornissennest. Die Hornissen haben sich die alten Balken des Hauses erneut als vorübergehende Bleibe gesucht. Dass sie nach dem Winter wieder zurückgekehrt sind, das ließ mich anfangs etwas misslaunig werden. Hornissen stehen unter Naturschutz und es existiert ein Bußgeldkatalog, der sich auf die Schutz ihrer Art bezieht. Damit stand fest, dass wir ein weiteres Mal den Sommer als „Nachbarn/innen“ verbringen werden. Der innere Widerstand, der dieser Art Fremdbestimmung für gewöhnlich folgt, blieb jedoch aus. Ich fing an, herzlich und gastfreundschaftlich über die Hornissen zu denken und wandte mich ihnen hin und wieder zu. Die kleinen Tierchen weckten etwas Schützendes in mir, das mir bekannt vorkommt und gleichzeitig fremd ist. Ich stelle eine kleine, kontinuierliche Freude über die Fürsorglichkeit fest, mit der ich am Abend für die Hornissen das Licht lösche, das sie durcheinander bringen könnte. Bereitwillig lasse ich die lieb gewonnene Lichterkette auf dem Balkon ausgeschaltet. Bei offenem Fenster gehe ich am Abend, im Dunkeln durch Küche und Bad, um zu vermeiden, dass die Hornissen aufgrund des Lichtes, die Grenze zu meinen Lebensraum überschreiten. Der Blick zu den Hornissen hat sich am Abend eingespielt, wie das Gießen der Pflanzen im Hochbeet. Vor ein paar Tagen fand ich auf der Balkonbrüstung eine Hornissen-Larve in ihrem Kokon. Sie schien aus dem Nest gestürzt zu sein und bewegte sich langsam und verletzlich über das unbekannte Terrain und wirkte dabei so ziellos, dass mich eine plötzlich auftauchende Ausweglosigkeit, im Hinblick auf ihren schicksalhaften Lebensausgang, betrübt machte. Ich versuchte ihr ein neues Zuhause zu schaffen und konnte mich drei Tage von ihrer Lebendigkeit überzeugen. Heute ist das Hornissenkind gestorben.
20.08.2020
~ Leipzina
Veröffentlicht von Leipzina
Etwas von mir zu erzählen, das fiel mir noch nie schwer, hier die richtigen Worte zu finden - das ist dennoch eine kleine Herausforderung. Vielleicht zunächst das Wichtigste für diese Seite: Ich schreibe gern. Für mich ist das Schreiben wie die „Erschaffung“ eines kleines Ausschnitts, ja eines Fensters, in meine Wahrnehmung und mein Erleben. Dabei macht es mir große Freude auf die Suche nach den richtigen Worten zu gehen. Das Beschreiben mag ich sehr. Auch und besonders weil es die Phantasie so wunderbar antreiben, bereichern, damit auf besondere Weise berühren und etwas in Bewegung bringen kann. Alle Beiträge von Leipzina anzeigen